Rechte und Pflichten im Strafverfahren für Verbrechensopfer
Allgemeines
Verbrechensopfer müssen von allen im Strafverfahren tätigen Behörden (Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft, Gericht) mit Achtung und Würde behandelt werden. Sie müssen über ihre Rechte im Strafverfahren und über die Möglichkeit belehrt werden, Entschädigungs- oder Hilfeleistungen zu erhalten, um ihnen die Wahrnehmung ihrer Rechte konkret zu ermöglichen. Opfer, die sich in der Verfahrenssprache nicht hinreichend verständigen können, haben das Recht, Übersetzungshilfe zu erhalten. Seit 1. Juni 2016 müssen auch wesentliche Aktenstücke auf Verlangen des Opfers übersetzt werden.
Besonders schutzbedürftige Opfer haben weitergehende Rechte.
Opfer einer Straftat werden im Strafverfahren in der Regel als Zeuginnen/Zeugen vernommen. Vom Gericht oder von der Staatsanwaltschaft bzw. Kriminalpolizei geladene Zeuginnen/Zeugen sind verpflichtet, dieser Ladung Folge zu leisten und Fragen darüber, was sie gesehen, gehört oder erlebt haben, wahrheitsgemäß zu beantworten. Eine Falschaussage ist strafbar (darunter fällt auch das vorsätzliche Verschweigen von erheblichen Tatsachen oder die Angabe, nichts zu wissen, obwohl darüber Bescheid gewusst wird).
Wenn Zeuginnen/Zeugen gegen Angehörige aussagen sollen oder sich durch die Aussage selbst der Gefahr einer strafgerichtlichen Verfolgung aussetzen, haben sie das Recht, die Aussage zu verweigern (der Ladung muss jedoch trotzdem Folge geleistet werden).
Ein unentschuldigtes Nichterscheinen als Zeugin/Zeuge kann mit einer Ordnungsstrafe (Geldstrafe) geahndet oder es kann eine Vorführung durch die Polizei veranlasst werden.
Tipp
Melden Sie einen Verhinderungsgrund rechtzeitig bei Gericht. Beachten Sie, dass Sie erst dann als entschuldigt gelten, wenn der Grund vom Gericht auch akzeptiert wurde (Bestätigung).
Zeuginnen/Zeugen haben Anspruch auf Zeugengebühren. Dafür muss die Anwesenheit der Zeugin/des Zeugen bei der Verhandlung von der Richterin/vom Richter (Staatsanwaltschaft) auf der Ladung bestätigt werden. Weitere Informationen hierzu finden sich auf Ihrem Ladungsformular.
Opfer können nach erfolgter Belehrung in jeder Lage des Strafverfahrens erklären, auf weitere Verständigungen und Ladungen zu verzichten. Von einer weiteren Beteiligung des Opfers am Verfahren wird dann Abstand genommen. Wenn ein Opfer jedoch auch als Zeugin/Zeuge einvernommen werden soll und eine Ladung zur Hauptverhandlung erhält, muss dieser Ladung selbstverständlich Folge geleistet werden.
Schutz von Zeugen im Strafverfahren
Bei ernster Gefährdung für das Leben und die Gesundheit der Zeugin/des Zeugen kann beispielsweise
- auf die Angabe der Adresse im Akt verzichtet werden bzw. bei mündlicher Befragung in der Hauptverhandlung die Adresse des Arbeitsplatzes angegeben oder darauf verwiesen werden, dass sie unverändert geblieben ist oder die Adresse nur aufgeschrieben werden (damit sie der Öffentlichkeit nicht zur Kenntnis gelangt),
- das Gericht bei der Einvernahme in der Hauptverhandlung veranlassen, dass die Angeklagte/der Angeklagte vorübergehend den Verhandlungssaal verlassen muss,
- das Gericht in gewissen Fällen auch Zuhörerinnen/Zuhörer von der ganzen oder von Teilen der Verhandlung ausschließen (Bild- und Tonaufnahmen sind während der Verhandlung verboten).
"Schonende" Vernehmung: Besonders schutzbedürftige Opfer, wie z.B. Opfer eines Sexualdelikts, können beispielsweise
- verlangen, dass die Zeugeneinvernahme in einem abgesonderten Raum durchgeführt und dann durch ein Video in den Verhandlungssaal übertragen wird (kontradiktorische Vernehmung). Bei unter 18-Jährigen wird diese Form der Vernehmung ohne Antrag durchgeführt.
- die Beantwortung von Fragen nach ihrem Intimleben sowie von Fragen nach Einzelheiten der strafbaren Handlung, deren Schilderung sie für unzumutbar halten, verweigern.
Die Anwesenheit einer Vertrauensperson bei der Vernehmung von Zeuginnen/Zeugen (insbesondere von unter 14-Jährigen) ist immer erlaubt bzw. gesetzlich sogar vorgesehen.
Prozessbegleitung
Verbrechensopfer, die durch die Tat emotional besonders betroffen sind, haben Anspruch auf psychosoziale und juristische Prozessbegleitung, wenn die professionelle Unterstützung durch Prozessbegleiterinnen/Prozessbegleiter zur Wahrung ihrer Rechte erforderlich ist.
Folgende Personen haben Anspruch auf Prozessbegleitung:
- Personen, die Opfer von Gewalt bzw. von gefährlicher Drohung oder in ihrer sexuellen Integrität und Selbstbestimmung (z.B. weil sie vergewaltigt wurden) verletzt wurden oder deren persönliche Abhängigkeit durch eine solche Straftat ausgenützt worden sein könnte (z.B. Vernachlässigung von Unmündigen);
Voraussetzung ist, dass es sich um eine vorsätzlich begangene Tat handelt – es ist jedoch nicht notwendig, dass ein bestimmter Schaden (etwa eine Körperverletzung) eingetreten ist.
- Nahe Angehörige (Eltern, Kinder, Ehegattinnen/Ehegatten, eingetragene Partnerinnen/Partner, Lebensgefährtinnen/Lebensgefährten, Geschwister und sonstige Unterhaltsberechtigte) einer Person, die durch eine Straftat getötet wurde
- Sonstige Angehörige (Nichten/Neffen, Cousinen/Cousins), die Zeugin/Zeuge der Tat waren
Opfer müssen spätestens vor ihrer ersten Befragung über das Angebot der Prozessbegleitung informiert werden. Sie bekommen dazu in der Regel eine Informationsbroschüre ausgehändigt.
Hinweis
Seit 1. Jänner 2014 erhalten Opfer unter 14 Jahren, die in ihrer sexuellen Integrität verletzt worden sein könnten, jedenfalls psychosoziale Prozessbegleitung.
Die psychosoziale Prozessbegleitung umfasst die Vorbereitung der Betroffenen auf das Verfahren und die damit verbundenen emotionalen Belastungen sowie die Begleitung zu Vernehmungen im Ermittlungs- und Hauptverfahren.
Die Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter spezialisierter Beratungsstellen für Prozessbegleitung
- informieren darüber, welche Rechte und Möglichkeiten Opfer haben,
- bereiten Verbrechensopfer auf Vernehmungen bei der Polizei und bei Gericht vor und
- begleiten Opfer auf Wunsch auch zu diesen Vernehmungen und zu Gerichtsverhandlungen.
Die juristische Prozessbegleitung umfasst die rechtliche Beratung und Vertretung durch eine Rechtsanwältin/einen Rechtsanwalt. Soweit dies für die Durchsetzung der Ansprüche (z.B. Schmerzengeld – auch für psychische Folgen – oder sonstige Schadenersatzansprüche) erforderlich ist, werden die Verbrechensopfer auch von einer Rechtsanwältin/einem Rechtsanwalt kostenlos beraten und vertreten.
Die emotional besonders betroffenen Opfer haben in jedem Stadium des Strafverfahrens das Recht auf Akteneinsicht. Sie sind über die Voraussetzungen der Prozessbegleitung und entsprechende Opferschutzeinrichtungen bereits vor ihrer ersten Vernehmung (bei der Polizei) zu informieren. Darüber hinaus sind sie von der Einstellung des Verfahrens sowie von der Freilassung der Beschuldigten/des Beschuldigten oder einer Flucht vor Fällung des Urteils erster Instanz unverzüglich von Amts wegen zu verständigen.
Für emotional besonders betroffene Opfer, für die eine professionelle Unterstützung durch Prozessbegleiterinnen/Prozessbegleiter zur Wahrung ihrer Rechte erforderlich ist, übernimmt das Bundesministerium für Justiz (BMJ) die Kosten der psychosozialen Betreuung und anwaltlichen Vertretung im Rahmen der Prozessbegleitung im Strafverfahren.
Fortführungsantrag
Stellt die Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren aus bestimmten Gründen ein, kann das Opfer die Fortführung des Strafverfahrens verlangen. Dazu muss es innerhalb von 14 Tagen nach Verständigung von der Einstellung einen "Antrag auf Fortführung" bei der Staatsanwaltschaft stellen. Wurde das Opfer von der Einstellung nicht verständigt beträgt die Frist drei Monate. Der Antrag eines minderjährigen Opfers ist seit 1. Juni 2016 ohne pflegschaftsgerichtliche Genehmigung möglich.
Das Gericht ordnet die Fortführung des Strafverfahrens an, wenn
- das Gesetz verletzt oder unrichtig angewendet wurde,
- erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der Tatsachen bestehen, die zur Beendigung geführt haben oder
- neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht werden, die geeignet erscheinen, den Sachverhalt soweit zu klären, dass es zu einer Diversion oder einer Anklageerhebung kommt.
Wird der Antrag vom Gericht zurückgewiesen (z.B. weil der Antrag verspätet ist oder von einer nicht berechtigten Person eingebracht wurde) oder abgewiesen (weil die genannten Fortführungsgründe nicht vorliegen), muss ein Pauschalkostenbeitrag von 90 Euro bezahlt werden.
Weiterführende Links
Rechtsgrundlagen
Strafprozessordnung (StPO)
Letzte Aktualisierung: 1. Jänner 2023
Für den Inhalt verantwortlich:
Bundesministerium für Justiz